
Diese Vortragszusammenfassung behandelt die Entstehung des islamischen Gemeinschaftsbewusstseins durch die Surah Al-Fatiha, basierend auf unserem wöchentlichen Vortrag vom 25. Mai 2025 und Elmalılı Muhammed Hamdi Yazırs „Hak Dini Kur’an Dili“.
Die absolute Kraft Allahs als Grundlage
Was könnte wohl der umfassendste und stärkste soziale Einfluss in der menschlichen Seele sein, der alle Grenzen von Liebe und Furcht einschließt? Nichts, was ein Gegenteil, ein Ebenbild oder einen Teilhaber haben könnte, kann eine so umfassende Kraft besitzen. Der Einzige, der weder Teilhaber noch Ebenbild hat, ist Allah.
Diese absolute Einzigartigkeit Allahs begründet, warum aller Shukur und Hamd allein Ihm gebührt. Gewissen, die das hören und tief verinnerlichen, besitzen eine soziale Seele, die würdig ist, Teil einer universellen Gemeinschaft zu werden.
Die Erziehung des sozialen Geistes durch die Fatiha
Allah lässt in der Fātiha zunächst die verständigen Menschen erkennen, wer Er ist, und nimmt dann von jedem Einzelnen durch die Worte na’budü ve nesta’in („wir dienen Dir, wir bitten Dich um Hilfe“) ein Versprechen und einen Bund ab – um in ihren Gewissen diesen sozialen Geist zu erziehen und zu stärken.
Entscheidend ist: Dieses Bekenntnis nimmt Er nicht als isolierte, individuelle Aussage entgegen, sondern in Form eines Gemeinschaftsbewusstseins: als ein Gefühl der Brüderlichkeit, das die gesamte Menschheit und alle Welten mitumfasst.
Die besondere Bedeutung der ersten Person Plural
Die erste Person Plural – „wir“ – unterscheidet sich wesentlich von der zweiten und dritten Person Plural. Tatsächlich ist es auch beim „wir“ stets ein einzelner Sprecher, der spricht. Aber dieser einzelne Sprecher redet im Namen seiner Brüder, vertritt sie – und sagt deshalb „wir“.
Wer also in dieser Weise spricht, ist zwar eine einzelne Person, aber während er dies sagt, vertritt er zugleich im eigenen Gewissen die Brüder und Schwestern, die er innerlich spürt. Diese Brüderlichkeit reicht von den schützenden und die Taten aufzeichnenden „Hafaza“-Engeln bis hin zu den gegenwärtigen oder gedanklich möglichen menschlichen Gemeinschaften.
Die Imam-Funktion im Gebet
Wenn jede Person durch die Sure Fātiha diese Vereinbarung trifft und festigt, ist sie im Rang eines Imams einer Gemeinschaft. Und genau aus diesem Grund liest nach der hanafitischen Rechtsschule die Gemeinde hinter dem Imam weder die Fātiha noch andere Teile des Qur’ān – denn es genügt, dass der Imam im Namen aller liest.
Wer jedoch allein betet, steht an der Stelle eines Imams einer zwar noch nicht real existierenden, aber gedanklich vorgestellten Gemeinschaft und muss deshalb unbedingt die Fātiha und weitere Suren selbst rezitieren.
Der soziale Geist vor dem sozialen Körper
Ein revolutionärer Gedanke: Noch bevor eine solche Gemeinschaft tatsächlich existiert, kann durch das Verankern dieses Geistes in einer einzelnen Person später eine große soziale Gemeinschaft entstehen. In diesem Sinne geht der soziale Geist dem sozialen Körper voraus.
So kann ein Einzelner das gesamte Gewissen einer Gemeinschaft bereits vor ihrer Entstehung in sich tragen und sie vertreten. Mit diesem Gefühl und diesem Bewusstsein kann er mit Allah dem Erhabenen einen Bund schließen. Und in dieser Angelegenheit gibt es keinerlei zeitliche Begrenzung oder Einschränkung durch eine bestimmte Epoche.
Die Überlegenheit des islamischen Gesellschaftsverständnisses
Der Islam ist genau dieser große und einzigartige soziale Geist – und über das Gesellschafts- und Zivilisationsverständnis, das er in seinem wahren Sinn in sich trägt, lässt sich keine höhere Gemeinschaft denken.
Im Gegensatz dazu: Sehr enge und beschränkte Gewissen können dies nicht erfassen; sie suchen sich kleine, selbstgemachte Götter und glauben, je kleiner der Rahmen ihrer Brüderlichkeit ist, desto wohler würden sie sich fühlen – doch sie können dieses Gefühl nicht wirklich erreichen.
Die Herausforderung schwacher Gemeinschaftsstrukturen
Die Stärke der islamischen Gemeinschaft steht in direktem Verhältnis zur Anzahl der Menschen und zur Kraft ihres islamischen Gewissens. Wenn die gesellschaftliche Struktur besteht und stark ist, fällt es dem Einzelnen leicht, diesen sozialen Geist zu spüren und zu tragen.
Umgekehrt gilt: Wenn die Struktur der Gemeinschaft schwach ist, wird es schwer, ein solches Gewissen zu bewahren – und insbesondere, wenn es faktisch noch gar keine Gemeinschaft gibt, dann ein so starkes, bis zur Ewigkeit reichendes Gewissen zu besitzen, bedeutet, den Geist eines Ganzen in sich zu tragen, das einst die ganze Welt umfassen wird.
Der prophetische Rang
Das ist eine äußerst schwierige Aufgabe, die nur mit göttlicher Unterstützung zu ertragen ist. Und dieser Rang ist der Rang der Propheten, insbesondere des letzten Propheten, Muhammed.
Praktische Bedeutung für heute
Diese Lehre erklärt, warum islamische Spiritualität strukturell auf Gemeinschaft ausgerichtet ist. Das individuelle Gebet wird als Akt der Stellvertretung verstanden – jeder Betende repräsentiert eine größere Gemeinschaft, auch wenn diese noch nicht physisch existiert.
Die Fatiha fungiert als tägliches Training des Gemeinschaftsbewusstseins. Sie verhindert, dass Religion zu einer rein privaten Angelegenheit wird, und kultiviert stattdessen ein Verantwortungsgefühl für das Ganze.
Besonders relevant ist die Erkenntnis, dass der „soziale Geist“ dem „sozialen Körper“ vorausgeht. Einzelpersonen können bereits das Bewusstsein einer zukünftigen Gemeinschaft in sich tragen und dadurch deren spätere Entstehung ermöglichen.
In Zeiten schwacher Gemeinschaftsstrukturen wird diese individuelle Trägerschaft des kollektiven Gewissens zu einer besonderen Herausforderung, die prophetische Qualitäten erfordert.