
Das Leben ist eine Prüfung – eine Wahrheit, die wir alle kennen, aber deren Tiefe sich oft erst in schweren Zeiten offenbart. Wenn Krankheiten zuschlagen, wenn Verluste uns erschüttern, wenn der Alltag zur Last wird, dann taucht manchmal ein gefährlicher Gedanke auf: Wäre es nicht einfacher, wenn alles vorbei wäre? Diese Vortragszusammenfassung widmet sich der prophetischen Weisheit zu dieser zutiefst menschlichen Versuchung und zeigt, warum ein langes, gottesfürchtiges Leben ein außergewöhnliches Geschenk darstellt.
Das prophetische Verbot: Sich den Tod nicht wünschen
Der Prophet Muhammad (ﷺ) sprach eine klare Ermahnung aus, die in mehreren authentischen Überlieferungen bei Bukhari und Muslim festgehalten ist. Anas (r.a.) berichtete: „Keiner von euch soll sich den Tod auf Grund eines Leidens wünschen, das ihn traf. Wenn er aber dies unbedingt tun will, so soll er nur sagen: ‚O Allah mein Gott, lass mich weiter leben, solange das Leben für mich gut ist, und lass mich dann sterben, wenn der Tod für mich gut ist!'“
Diese Anweisung ist kein bloßes Verbot, sondern ein Akt göttlicher Barmherzigkeit. Abu Huraira (r.a.) überlieferte die entscheidende Begründung: „Wenn du stirbst, dann ist dein Tatenfluss zu Ende. Und ein Gläubiger fügt nur Gutes seinem Leben hinzu, solange er lebt.“
Die menschliche Realität: Selbst die Gefährten waren nicht immun
Was diese Lehre besonders bemerkenswert macht, ist ihre Verwurzelung in der menschlichen Erfahrung. Anas (r.a.) selbst, ein enger Gefährte des Propheten, gab zu: „Es gab Situationen, wenn der Prophet uns nicht verboten hätte, sich den Tod zu wünschen, dann hätten wir uns den Tod gewünscht.“
Diese Ehrlichkeit zeigt: Der Gedanke ist nicht verwerflich, sondern menschlich. Habab (r.a.), dessen Körper von einer schweren Krankheit an sieben Stellen betroffen war, sagte: „Wenn der Prophet uns nicht davor ermahnt hätte, sich den Tod zu wünschen, dann hätte ich mir jetzt den Tod gewünscht.“ Selbst die spirituelle Elite der islamischen Geschichte kannte diese Momente der Verzweiflung – und gerade deshalb ist die prophetische Weisheit so wertvoll.
Die Logik hinter dem Verbot
Der Prophet (ﷺ) gab Sa’d ibn Abi Waqqas (r.a.) eine Erklärung, die beide möglichen Szenarien abdeckt: „Wenn du zu den Leuten gehörst, die ins Paradies eingehen sollen, dann ist es besser, dass du auf der Welt lebst. Und wenn du zu den Leuten gehörst, die in die Hölle kommen, warum beeilst du dich?“
Diese Argumentation offenbart eine tiefe Wahrheit: Niemand kann mit Gewissheit wissen, was nach dem Tod kommt. Die Absicht hinter unseren Taten ist letztendlich das, was zählt – und diese ist nur Allah bekannt. Das Leben bietet aber die Chance zur Reue, zur Verbesserung, zum Wachstum. Jabir (r.a.) überlieferte: „Wünscht euch nicht den Tod, weil die Aussortierung der Akhira, das Gericht der Akhira, sehr heftig ist. Und nimmt es als Vorteil, dass Allah euch die Möglichkeit gibt, Tauba zu machen, bevor er euer Leben nimmt.“
Die Vorzüge eines langen, gottesfürchtigen Lebens
Der zweite Teil der prophetischen Lehre betont den unschätzbaren Wert eines langen Lebens in Gehorsam gegenüber Allah. Abu Bakr (r.a.) berichtete, dass der Prophet (ﷺ) gefragt wurde: „Wer von den Menschen ist der Beste?“ Er antwortete: „Diejenigen, die ein langes Leben haben und gute Taten vollbringen.“ Und auf die Frage nach den Schlechtesten sagte er: „Diejenigen, die ein langes Leben haben und schlechte Taten begehen.“
Diese Aussage verdeutlicht: Nicht die Länge des Lebens allein ist ausschlaggebend, sondern was man daraus macht. Der Zeitfaktor wird zum entscheidenden Element – nicht weil das Leben an sich wertvoll ist, sondern weil jeder zusätzliche Atemzug eine weitere Gelegenheit für gute Taten darstellt.
Die erstaunliche Geschichte zweier Gefährten
Eine von Imam Ahmad und Ibn Zaywajah überlieferte Geschichte illustriert diese Wahrheit eindrucksvoll: Zwei Männer aus dem Stamm Huzar nahmen den Islam an. Einer von ihnen fiel als Märtyrer im Kampf, der andere lebte ein weiteres Jahr. Talha ibn Ubaidullah (r.a.) sah in einem Traum, dass derjenige, der ein Jahr länger gelebt hatte, eine höhere Stufe im Paradies erreichte als der Märtyrer.
Als der Prophet (ﷺ) von diesem Traum erfuhr, erklärte er: „Hat derjenige, der ein Jahr länger lebte, nicht einen Ramadan erlebt und tausende von Gebeten verrichtet?“ Die Botschaft ist klar: Selbst gegenüber dem Märtyrertod – dem höchsten Opfer im Islam – kann ein Jahr zusätzlichen Lebens mit Gehorsam gegenüber Allah mehr Belohnung bringen.
Praktische Weisheit für das Alter
Der Vortrag betonte auch eine wichtige gesellschaftliche Dimension: Die Verantwortung älterer Muslime, ihr Wissen und ihre Zeit in den Dienst der Gemeinschaft zu stellen. Statt sich nach Jahren der Arbeit vollständig zurückzuziehen, sollten diejenigen, die Zeit haben, diese für den Dienst an der Moschee, die Koranbildung der Jugend und die Stärkung der Gemeinschaft nutzen.
Der Prophet (ﷺ) sagte: „Bei Allah gibt es keinen besseren älteren Muslim als denjenigen, der Tesbih macht, Takbir macht, Tahlil macht“ – also die ganze Zeit Allah erwähnt. Said bin Jubayr (r.a.) fasste es zusammen: „Die Pflichten zu machen, die Gebete zu beten und den Dhikr zu machen, den Allah uns ermöglicht, ist eine Beute, eine Trophäe für den Muslim.“
Fazit: Leben als Gnade, nicht als Last
Diese Lehre fordert uns heraus, unsere Perspektive grundlegend zu verändern. Jeder Tag ist nicht eine Last, die wir ertragen müssen, sondern eine Gelegenheit, die wir nutzen dürfen. Selbst in Prüfungen und Schwierigkeiten liegt die Möglichkeit des Wachstums, der Reue und der Nähe zu Allah.
Die göttliche Barmherzigkeit übertrifft unsere Vorstellungskraft – wie der Prophet (ﷺ) sagte, als er eine Mutter mit ihrem Baby sah: „Allah ist barmherziger“ als diese Mutter, die ihr Kind niemals ins Feuer werfen würde. Diese Hoffnung sollte uns durch die dunkelsten Zeiten tragen.



